Anlässlich dem Tag der Mediation 2021 möchte ich diesen Blogartikel dem starken Gefühl WUT widmen. Neben meinen eigenen Gedanken, habe ich auch Eindrücke und Inputs von Kolleg*innen eingeholt, die uns heute unterschiedliche Perspektiven liefern sollen. Ich lade dich als Leser*in ein zu überlegen, wie du selbst zu deiner Wut stehst, wie du Wut im Alltag erlebst und wie sich dieses starke Gefühl im Leben integrieren lässt. #feelyourfeelings
Ich schreibe diese Zeilen während die österreichische Nationalmannschaft verzweifelt versucht sich gegen die Niederlande zu behaupten. Emotionen in alle Richtungen sind auf den Gesichtern der Spieler abzulesen. Erst einige Tage zuvor wurde einer der österreichischen Spieler ausfällig und schrie (in seiner Wut?) einen Gegenspieler an. Ein Skandal, der durch die Medien geht.
Wut. Was ist das eigentlich für ein Gefühl? Lange Zeit konnte ich die Frage für mich selbst gar nicht beantworten. Ich war tatsächlich davon überzeugt Wut selbst überhaupt nicht fühlen zu können. Und auch heute tu ich mir schwer.
Lasst uns der Sache gemeinsam auf den Grund gehen. Ich möchte dich durch eine Reise zum Thema Wut mitnehmen und ein Stück weit selbst für mich ergründen was Wut für mich bedeutet.
Was ist Wut überhaupt?
Meine erste Anlaufstelle zum Thema war die US amerikanische Wissenschaftlerin Brené Brown. Ich habe schon oft über sie geschrieben und meine Faszination über ihre Arbeit ist ungebrochen. Vielleicht lässt sich Wut nicht 1:1 mit „anger“ übersetzen, aber es geht doch stark in die Richtung.
Sie definiert „Anger“ wie folgt:
“Anger is a catalyst. Holding on to it will make us exhausted and sick. Internalizing anger will take away our joy and spirit; externalizing anger will make us less effective in our attempts to create change and forge connection. It’s an emotion that we need to transform into something life-giving: courage, love, change, compassion, justice. Or sometimes anger can mask a far more difficult emotion like grief, regret, or shame, and we need to use it to dig into what we’re really feeling. Either way, anger is a powerful catalyst but a life-sucking companion.”
Brené Brown: Braving the Wilderness: The Quest for True Belonging and the Courage to Stand Alone
Wow, das gibt mir zu denken: meist stecken ganz andere und viel komplexere Emotionen hinter der Wut: Trauer, Bedauern oder Scham. Wütend ist also nicht gleich wütend.
Meine Kollegin Conny Exß (https://www.exss.at) greift das Thema „nach Innen“ und „nach Außen“ ebenfalls auf:
Wut ist eine starke Emotion, welche sich nach innen oder außen entlädt! (Conny Exß)
Es gibt viele Emotionen in uns, welche wir oft selbst gar nicht wahrnehmen. In meiner Ausbildung zur psychologischen Beraterin, wurde ich oft aufgefordert meine Gefühle und Emotionen zu spüren. Zu Beginn fiel mir dies extrem schwer. Aber wir mussten es üben, üben, üben. Heute bin ich sehr froh darüber, dass unsere Lehrgangsleiterin in diesem Bereich hartnäckig war. Denn in weiterer Folge lernte ich auch die Emotionen meine/r Klient*innen und Mediand*innen zu erkennen. Denn wenn uns etwas „trifft“, reagieren wir spontan mit Emotionen und diese lösen auch Reaktionen im Gegenüber aus.
Werden wir uns dieser bewusst, d.h. lernen wir unsere körperlichen Reaktionen wahrzunehmen und richtig zu deuten, so können wir mit Hilfe dieser Wahrnehmung besser die Situation „lesen“.
Wut ist dabei eine Emotion, welche oft sehr deutlich wahrgenommen wird. Aber Vorsicht, es ist oft die eine Variante der Wut Äußerung, nämlich die Aggression nach außen, welche wir deutlich wahrnehmen. Die, nach innen gerichtete Reaktion, wird dabei oft übersehen und kann dadurch viel Schaden anrichten.
In der Mediation habe ich häufig die Situation gehabt, dass ein/e Mediand*in laut wurde und die innerlich aufgestaute Wut damit herausließ. Dies brachte Bewegung in den Prozess. Erst danach war ein Weg Richtung Lösung möglich.
Kleiner Metaphern-Vergleich dazu:
Den Umgang mit der Emotion Wut in der Mediation vergleiche ich oft, mit einem Topf voll Erdäpfel mit Wasser, welche ich zum Kochen bringen möchte.
In einem Konflikt gibt es immer in einer oder beiden Konfliktparteien die Emotion Wut. Nun haben wir da diesen Topf und stellen ihn auf den Herd, um das Wasser zu erhitzen. [Dies passiert meist in der Darstellung des Falls von Seiten der Konfliktparteien] Es fängt langsam an zu sieden und dies hört man. Zum Ende des Siedens wird der Kochvorgang laut. Jedoch, wenn das Wasser dann kocht, wird es auf einmal wieder leise und man muss schnell reagieren, damit es nicht überkocht. Um das Überkochen rechtzeitig zu verhindern, hebt man den Deckel an und lässt den Überdruckt gezielt raus [eine Intervention]. Anschließend kochen die Erdäpfel langsam weiter [Lösungsfindung]. Hier und da greift man, wenn nötig, leicht ein, um den Druck und die Temperatur zu halten. Einem guten Gericht [die Vereinbarung] mit Erdäpfel, steht nichts mehr im Wege.
Zu viel WUT tut nicht gut (Christa D. Schäfer)
Meine Kollegin Christa D. Schäfer nähert sich dem Thema WUT zunächst auch mit einer Einordnung und gibt uns dann 5 Strategien mit auf dem Weg, wie man mit Wut umgehen kann:
Wut, das ist neben der Freude, dem Ekel, der Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung eine der sieben Basisemotionen nach Paul Ekman. Sie ist in allen Kulturen zu Hause und wird in allen Kulturen auf dieselbe Art und Weise zum Ausdruck gebracht.
Die Wut ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion, ausgelöst durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung. Gegenüber dem Ärgern besitzt die Wut ein höheres Erregungspotenzial.
weiterlesen am Blog von Christa D. Schäfer und die 5 von ihr empfohlenen Strategien erfahren!
Buchtipp: Heidi Kastner
Wut - Plädoyer für ein verpöntes Gefühl
Schon vor einigen Jahren habe ich dieses Buch in meine Hände bekommen und war fasziniert vom Thema. Heidi Kastner schreibt aus ihrer Perspektive als Gerichtspsychiaterin und schildert auch einige Fallbeispiele.
Das Buch ist ein Plädoyer für die Geradlinigkeit des Ausdrucks und die Anerkennung der eigenen Emotionen – der „guten“ wie der „bösen“.
Mit gewaltfreier Kommunikation gegen Wut und Ärger (Frank Hartung)
Mein Kollege Frank Hartung nähert sich dem Thema Wut mittels Haltung der GFK (Gewaltfreien Kommunikation) und erläutert wie man mit ein wenig Übung die Wut umwandeln kann.
Punkt eins ist die Trennung zwischen Auslöser und Ursache.
Ursache für Wut und Ärger sind nach der GFK die eigenen Urteile und Interpretationen, die auf eine verzerrte und entfremdete Weise die eigenen – unerfüllten – Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Jetzt gilt es, genau diese unerfüllten Bedürfnisse herauszufiltern. Was brauche ich, was mir der andere nicht erfüllt hat?
Jedes Gefühl hat eine Botschaft für dich (Julia Feketitsch )
Spannend fand ich den Gedanken auch jemand nach seiner Meinung zum Thema Wut zu befragen, der nicht im Bereich Mediation arbeitet. Julia Feketitsch ist Yoga-Lehrerin aus Leidenschaft und ihre Arbeit ist stark dem Thema Emotion gewidmet.
Ich freue mich auch ihren Beitrag mit euch zu teilen:
Oft stehen wir unseren Gefühlen sehr ambivalent gegenüber: manche wollen wir unbedingt ständig fühlen, wie z.B. Freude, auf andere können wir getrost verzichten wie z.B. Angst. Ob es uns gefällt oder nicht, Gefühle werden wir immer haben.
Was du ändern kannst, ist deine Einstellung gegenüber Gefühlen, denn die aller wichtigste Botschaft dieses heutigen Blogartikels ist:
jedes Gefühl hat eine Information, eine Botschaft für dich und jedes Gefühl ladet dich ein, über dich hinaus zu wachsen und etwas zu lernen.
Zwei Dinge sind dafür nötig:
"Wie sag ich es?"
Wie du Unangenehmes oder Störendes ansprichst, ohne den anderen anzugreifen.
NEU: Download PDF Schummelzettel
in der Lösungsorientiert-Community Bibliothek:
Wut macht hässlich (Ulrich Wanderer)
Meinen Kollegen Ulrich Wanderer finde ich immer wieder faszinierend, weil er sich gerne mal von ganz anderen Seiten einem Thema nähert. Auch diesmal ist ihm das wunderbar gelungen:
Diesmal möchte ich auf einen bisher unbeachteten Kollateralvorteil des Videokonferenz zu sprechen kommen, der Selbsterkenntnis.
Sehe ich mich selber im Spiegel oder eben in diesem Fall am Bildschirm reden, so macht das etwas mit mir. Ich erkenne meine Gestik, meine Mimik und kann aus ihr lernen. So kann ich auch unterm Reden meine eigenen Hände besser beobachten, kann meine Körpersprache insbesondere im Vergleich zu den anderen Teilnehmern der Konferenz beobachten. So wird eine Videokonferenz auch neben der Konfliktlösung der Beziehungspflege und dem Informationsaustausch darüber hinaus auch noch zur Selbsterkenntnis.
Das folgende Gedankenspiel kam mir kürzlich in den Sinn:
Wut macht hässlich, davon gehe ich einmal aus. Man will sich wohl kaum selber hässlich erleben…. eine weitere Annahme…
Am Ende möchte ich Resümee ziehen und meinen Kolleg*innen DANKE sagen fürs Mitmachen bei diesem Sonder-Blogartikel anlässlich Tag der Mediation 2021.
Mein erstes Mal Wut (Stefanie Jirgal)
Mir ist plötzlich eine Situation eingefallen, wo ich zum ersten Mal so richtig Wut gespürt habe. Ich war Mitte 20 und hatte bereits 2 Kinder. Das eine verwüstete das Zimmer nebenan, während ich das andere stillte. Unser Hund machte unten Radau und die beiden Babykatzen wollten Fressen von mir. Starke Emotionen machten sich in mir breit. Kurz nachdem ich mit Stillen fertig war, ergriff ich das hölzerne Schaukelpferd und warf es quer durch den Raum - keine Sorge niemand kam zu Schaden, außer das Schaukelpferd selbst vielleicht, aber das war robust gebaut.
Dann herrschte mal Stille. Ich fühlte große Scham. Was hatte ich nur getan, ein gewaltiger Wutausbruch hatte mich veranlasst meiner Aggression freien Lauf zu lassen. Niemals zuvor ist mir derartiges widerfahren.
Ich fühlte mich unzulänglich, nicht genug und unfähig mein Leben im Griff zu haben. Rückblickend hat es so kommen müssen, ich hatte mir viel zu viel vorgenommen und aufgebürdet. Ich wollte alles auf einmal schaffen und dabei auch noch die tollste Mama, die tollste Frau und die tollste Projektleiterin sein.
Wut war tatsächlich nur ein Katalysator wie es Brené Brown so schön ausgedrückt hat. Erst das dahinter schauen, hat mir die komplexe emotionale Welt eröffnet.
Wichtig für mich war die Wut zu ergründen, auch wenn es alles andere als leicht war! In meiner Anfangszeit als Mediatorin hab ich dazu diesen Blogartikel verfasst.
Danke liebe Kolleg*innen für so vielfältige Einblicke und Perspektiven! Sie haben mich - wie ihr seht - zum Nachdenken gebracht und werden es die Leser dieser Artikel wohl auch!
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- Mein Geheimrezept für ein entspanntes und zuversichtliches Berufsleben als lösungsorientierter Führungsmensch
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Wut ist so eine wichtige Emotion – genau wie alle Emotionen ohne Ausnahme wichtig sind.
Leider sind viele Eltern und teilweise auch Erzieher überfordert und deckeln diese Gefühle anstatt den Raum zu halten. Das wäre so wichtig damit Kinder lernen können einen guten und gesunden Umgang mit ihren Emotionen zu finden.
Danke, dass du auf dieses wichtige Thema aufmerksam machst.
In meinen Coachings sind viele Erwachsene die nie gelernt haben ihre Emotionen zu spüren und auch zu leben. Wir können schon unsere Kinder dabei unterstützen dass sie diese Basis Dinge nicht erst als Erwachsene mühsam lernen müssen.
Vielen Dank Julia für deinen Kommentar. Du sprichst was sehr wichtiges an, nämlich, dass es wichtig ist im Kinderalter eine Sprache für unsere Emotionen zu finden bzw. das Bewusstsein dafür. Schwierig, wenn man es als Erwachsener nie geschafft seine Gefühle zu artikulieren. Ich schreibe nach meiner Reisepause gerade an einem neuen Blogartikel, auch hier werden die Emotionen wieder im Vordergrund stehen!
Liebe Grüße
Stefanie