Weltschmerz

Weltschmerz und die Konflikte unserer Zeit

Zugegeben, ich verbringe derzeit zu viel Zeit am Handy. (Ja, ich weiß – ich sollte das Interview mit Andrea Buhl wirklich nochmal selbst anhören.) Dadurch rauschen täglich unzählige Weltnachrichten auf mich ein, und ich bekomme fast in Echtzeit mit, wie sich die Konflikte unserer Zeit zuspitzen. Erst gestern wurde über massive Ausschreitungen in Los Angeles berichtet – die Demokratie in den USA wankt, und Menschen gehen verzweifelt dagegen auf die Straße. Zur selben Zeit segelt ein Schiff unter britischer Flagge mit zwölf Aktivist*innen an Bord Richtung Gaza, um Hilfsgüter zu liefern – ein mutiges Zeichen der Menschlichkeit, ein Versuch, Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, wo so vieles aus dem Blick gerät. Gegen 2 Uhr früh wird das Schiff gestoppt. Was dann geschah, ist bislang unklar. Währenddessen tobt im Nahen Osten ein Krieg, den kaum noch jemand durchblickt – genauso wie in der Ukraine. Und auch an vielen anderen Orten auf der Welt herrscht Gewalt, Unsicherheit, Chaos. Es wird schwerer, überhaupt noch zu begreifen, worum es jeweils eigentlich geht.

Mein Kopf dröhnt, mein Herz blutet, mein Verstand ringt um Orientierung. Weltschmerz erfasst mich. Doch statt mich von diesen Gefühlen überrollen zu lassen, habe ich beschlossen, meine Gedanken in diesem Blogartikel zu sortieren – in der Hoffnung, dass ich nicht alleine damit bin.

Vielleicht fragst auch du dich: Was geschieht hier gerade? Und wie kann ich damit umgehen? Ich werde darauf keine endgültigen Antworten geben können. Aber ich kann meine Perspektive teilen – und damit vielleicht einen Raum öffnen, in dem du deinen eigenen Umgang finden kannst.

In diesem Blogartikel gehe ich auf die - meiner Meinung nach - zentralsten Themen dazu ein. 

Wenn du nicht so viel Zeit hast, dann scrolle bis ans Ende, da teile ich mein Fazit mit dir!

Leben an der Bruchkante einer neuen Zeitrechnung

Wir leben an einer Bruchkante. Eine Zeit, in der sich nicht nur Ereignisse überschlagen, sondern ganze Weltbilder zu wanken beginnen. Maja Göpel nennt es einen Epochenbruch – einen Moment, in dem die bisherigen Denk- und Handlungsmuster nicht mehr tragen, weil die Komplexität unserer Welt sie überholt hat. Es ist, als würden wir im freien Fall spüren, dass das „Weiter so“ nicht mehr funktioniert – aber das „Wohin stattdessen?“ ist noch unscharf.

Auch die Spiral Dynamics beschreiben solche Phasen als Übergänge zwischen Bewusstseinsstufen: Wir verlassen eine Phase, die stark von Wettbewerb, Technikgläubigkeit und Individualismus geprägt war – und bewegen uns in Richtung eines Systems, das auf Verbundenheit, Ganzheit und Sinn ausgerichtet ist. Doch dieser Übergang ist chaotisch. Die alte Ordnung wehrt sich, während das Neue noch keine klare Form gefunden hat.

Es ist unbequem, unübersichtlich – und trotzdem notwendig. Vielleicht ist genau das der Schmerz, den so viele gerade spüren: Nicht nur Weltschmerz über das Außen, sondern ein inneres Zittern, weil etwas in uns weiß – diese Welt wird nie mehr so sein wie zuvor.

Video: Don Edward Beck über das Lösen komplexer Probleme und Konflikt am Beispiel der Auflösung der Apartheit in Südafrika - wo er selbst direkt mitgearbeitet hatte.

Wie geht man weiter, wenn die Welt, wie wir sie kannten, zerfällt – und das Neue noch kein Zuhause hat? Ich glaube: indem wir aufhören, nach der einen großen Lösung zu suchen – und stattdessen bei uns selbst anfangen. Wenn die äußeren Strukturen bröckeln, werden innere Haltungen zum Fundament. Wir können uns fragen: Was ist mein Platz in diesem Wandel? Was will durch mich in die Welt? 

 Ob das Zuhören ist, das Teilen von Gedanken, das Kümmern um andere oder das bewusste Gestalten eines Raums, in dem Menschen sich sicher fühlen – all das ist Handlung im Sinne des Neuen. Ich glaube, wir sind aufgerufen, Übergangsmenschen zu sein. Menschen, die mitfühlen, ohne zu verzweifeln. Die hinsehen, ohne abzustumpfen. Und die lernen, dass Hoffnung kein Gefühl ist, sondern eine Praxis.

Hoch eskalierte Konflikte und die Angst

Viele der Konflikte, die wir heute auf der Weltbühne beobachten – in politischen Systemen, zwischen Staaten, aber auch in gesellschaftlichen Debatten – sind längst hoch eskaliert. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl beschreibt diese Zustände als Eskalationsstufen, in denen nicht mehr das ursprüngliche Problem im Zentrum steht, sondern nur noch der Gegner. Der Konflikt ist dann wie ein eigenes Wesen: selbstverstärkend, radikal, irrational.

Emotionen wie Angst und Wut übernehmen das Steuer, während die Fähigkeit zur Differenzierung, zur Perspektivübernahme und zur Deeskalation schwindet. Heidi Kastner warnt davor, dass kollektive Angst ein gefährlicher Nährboden für Manipulation und Radikalisierung ist. Und der Psychologe Rainer Schwarz beschreibt, wie Angst das Denken verengt: Der Blick wird eng, das „Wir gegen die“ wird zur einzigen Logik, und Lösungen außerhalb der Konfrontation erscheinen nicht mehr möglich. In solch einem Zustand sind Menschen – und Systeme – kaum noch fähig, sich zu regulieren.

Doch genau das brauchen wir jetzt: die Fähigkeit, innezuhalten, zu erkennen, dass wir mitten in einem Dynamikstrudel stecken, und bewusst auszusteigen.

Denn es gibt Wege aus hoch eskalierten Konflikten – aber sie führen nicht über Härte oder Rechthaben, sondern über Empathie, Kontaktaufnahme, über das Aushalten von Ambivalenz und die Suche nach einem neuen Narrativ. Wir brauchen Räume, in denen Angst benannt, aber nicht verstärkt wird – in denen Wut gehört, aber nicht gefeiert wird – und in denen wir gemeinsam lernen, wieder handlungsfähig zu werden. Denn Angst, so verständlich sie ist, lähmt. Sie friert ein, wo Bewegung notwendig wäre.

Wenn wir Zukunft gestalten wollen, müssen wir Wege aus der Angst finden.

Video: Fritz Glasl über die Eskalationsstufen am Beispiel Ukrainekrieg und wie eine Konfliktlösung aus seiner Sicht noch möglich wäre.

Wenn ich auf die hoch eskalierten Konflikte dieser Welt blicke, dann spüre ich: Es geht nicht nur um das Große da draußen – es zeigt mir auch etwas über mich. Denn die Mechanismen, die solche Konflikte antreiben – Angst, Wut, Abgrenzung, das Bedürfnis nach Kontrolle – wirken auch in meinem Inneren. Vielleicht nicht in geopolitischen Dimensionen, aber in Beziehungen, in Diskussionen, in Momenten, in denen ich mich überfordert fühle.

Auch ich kenne die Verengung im Denken, das Schwarz-Weiß-Denken, das Gefühl, nur noch reagieren zu können. Der Blick auf eskalierte Konflikte macht mir klar: Ich kann nicht alles lösen, aber ich kann anfangen, in meinem eigenen Radius Frieden zu kultivieren.

Indem ich lerne, mit Angst achtsam umzugehen, ohne mich von ihr lähmen zu lassen. Indem ich Wut nicht wegdrücke, sondern als Signal erkenne – und trotzdem wähle, wie ich handeln will. Und indem ich bewusst Räume schaffe, in denen Dialog, Mitgefühl und Reflexion möglich bleiben. Der Umgang mit Weltschmerz beginnt im Innen, im Erkennen der eigenen Muster – und in der Entscheidung, nicht mitzumachen bei der nächsten Eskalation. Auch das ist ein Beitrag zum Wandel.

Aufmerksamkeit als Währung verstehen


Unsere Aufmerksamkeit ist heute ein extrem kostbares Gut – und gleichzeitig ein knapper, immer wieder umkämpfter Rohstoff. Maja Göpel beschreibt in ihrem eindrucksvollen Vortrag, wie wir in einer Welt der permanenten Reizüberflutung immer stärker in die „Jagd nach Aufmerksamkeit“ hineingezogen werden. 

Algorithmen, Medien, Werbung und soziale Netzwerke konkurrieren pausenlos darum, unseren Blick zu fangen und unsere Gedanken zu lenken. Das führt dazu, dass wir zerstreut, müde und überfordert sind – und oft gar nicht mehr klar erkennen, was wirklich wichtig ist. Unsere Aufmerksamkeit wird damit zu einer Art Währung, die wir im Alltag unbewusst immer wieder ausgeben.

Video: Maja Göpel zum Thema Aufmerksamkeit und wie diese gelenkt wird.

Göpel mahnt, dass wir diese Währung nicht leichtfertig verschwenden dürfen. Stattdessen müssen wir lernen, bewusst und kritisch zu wählen, wem oder was wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Es geht darum, Filter zu setzen und Prioritäten zu setzen – um Raum zu schaffen für das, was uns wirklich nährt und uns die Kraft gibt, die komplexen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.

Denn wer seine Aufmerksamkeit zerstreut, verliert Orientierung und Handlungskraft. Wer sie hingegen klug bündelt, gewinnt Fokus und die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen – sei es im eigenen Leben oder in der Welt.

Diese Erkenntnis lädt uns ein, achtsamer mit uns selbst und unserer Umgebung umzugehen: weniger konsumieren, mehr reflektieren; weniger reagieren, mehr gestalten. So wird Aufmerksamkeit zu einem Geschenk, das wir uns selbst machen – und zu einem Werkzeug, mit dem wir bewusst die Welt berühren, anstatt uns von ihr treiben zu lassen.

Fazit - wie ich mit Weltschmerz umgehe

1) Ich sammle Hintergrundwissen zum Epochenbruch und versuche diesen Übergangszustand besser zu greifen. Dabei verstehe ich mich selbst als jemand, der mitgestalten kann. 

2) Mitgestalten heißt für mich Werte und Haltungen zu kultivieren, die uns wieder in ruhigerer, gesellschaftliche Gewässer führen können. 

Beispiele:

- Frieden im Alltag kultivieren: wohlwollend den Mitmenschen gegenüber sein, auch wenn diese voller Groll und Zorn agieren (ich verstehe es als Reaktion auf diese unverständliche Zeit), Matthias Strolz Satz "what would love do?" im Hinterkopf behalten und aus dieser Perspektive heraus handeln, dennoch Grenzen setzen und übergriffiges Verhalten ansprechen. 

- Gleichzeitigkeit zulassen und anderen näher bringen. In Gesprächen, Diskussionen, im Austausch nehme ich eine mittlere Position ein. Ich kultiviere ein "sowohl als auch", ein "und" statt ein "oder". Denn das ist die Realität: es gibt kein Gut oder Böse oder ein schwarz oder weiß. In den Konflikten der heutigen Zeit sind die Grenzen verwaschen. Von allen Seiten der Konflikte wird eskalierendes Verhalten gezeigt, sogar von denjenigen, die augenscheinlich für "das Gute" einstehen möchten. Ich konzentriere mich auf deeskalierendes Verhalten, egal welche Seite es zeigt. 

- Neugierde. Ich bleibe offen und aufmerksam für neue Entwicklungen. Mache mir bewusst, wo ich an alten Strukturen festhalte, wo ich selbst kontrollieren möchte. Sei es durch Verhaltensweisen, durch meine Sprache oder durch Positionen, die ich unbewusst zu Themen einnehme. Ich frage mich: wie kann man es noch sehen? Was habe ich bisher zum Thema übersehen? 

3) Ich gehe bewusster mit meiner Aufmerksamkeit um: weniger scrollen, weniger Nachrichten, Pausen machen was Informationen angeht. Dazwischen möglichst viel Zeit unter freiem Himmel, echten Menschen und positiven Umgebungen verbringen. Das bringt Kraft und Energie zurück. Ich entscheide wer oder was meine Aufmerksamkeit erhält. 

4) Meine eigene Wirksamkeit erkennen: auch wenn es nur ein kleiner Kreis ist, den ich ziehen kann, es ist ein Kreis! Mein Verhalten, meine Haltung gegenüber anderen Menschen, wie ich arbeite, wie ich meine Kinder erziehe, wie ich im Ehrenamt tätig bin, wie ich mich in der Öffentlichkeit gebe, wie ich mit Liebe und Respekt umgehe, wie ich kommuniziere etc. machen einen Unterschied und können Wirkung zeigen. 

5) Ich versuche andere zu stärken, zu inspirieren, zusammen zu bringen und zu zeigen, dass sie mit dem Weltschmerz nicht alleine sind. Sprechen wir die unangenehmen Dinge aus, auch wenn wir dazu keine Lösung haben.


Wie geht es dir mit dem Weltschmerz? Wie gehst du damit um? Lass uns voneinander lernen und schreibe hier gerne einen Kommentar:



2 thoughts on “Weltschmerz und die Konflikte unserer Zeit

  • 17. Juni 2025 um 17:15
    Permalink

    Grüß Dich Stefanie,

    danke vielmals für deinen Beitrag über den Weltschmerz. ich gehe mit dem Weltschmerz so um, daß ich, do wie du es schreibst dem keine Aufmerksamkeit gebe.
    Energie folgt der Aufmerksamkeit, bzw. dem Fokus.
    an dem was im TV gezeigt wird, sehe ich es so, das man es sowieso nicht ändern kann, über das was so gestritten wird, wie im Kindergarten. Die sogenannten Politiker und Polutikerinnen sollten lernen, wie man mit Gegühlen umzugehen hat, und Emotionen so ausagiert, das sie das sein dürfen, jedoch anderen keinen sxhademn zugefügt wird, weder physisch, psychisch noch emotional.
    und hier ist innehalten, reflektieren ein wundervoller Ansatz und den Fokus auf das lenken, was einem Kraft gibt und Lebensfreude bereitet.

    getreu dem Motto von Pippi

    ich mach mir Die Welt, wie sie mir gefällt. in Liebe und mit Humor wie sie es tat. die Lösungen sind alle da. um hier auf der Erde im Paradies zu leben. die Frage ist, wenn du das hier liest: entscheidest du dich dafür?

    hab t einen wunderschönen Tag voller Lebensfreude und Leichtigkeit.

    Alles Liebe

    Holger

    Antworten
    • 18. Juni 2025 um 10:59
      Permalink

      Vielen DANK Holger für deinen Kommentar und deine Herangehensweise. Das Thema bewegt viele Menschen und ich glaube dass auch viele Konflikte darauf beruhen, dass uns unser Weltschmerz stresst. Ein bewusster Umgang hilft uns wieder mehr Ruhe und Frieden zu finden und damit auch im Außen für mehr Frieden sorgen zu können.
      Hab einen schönen Tag und alles Gute für deine Arbeit!
      lg
      Stefanie

      Antworten

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